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Tandem


“Faire des amis” oder auch auf Deutsch “Freunde finden” in Corona-Zeiten. Wie soll das gehen?

Normalerweise trifft man / frau sich zufällig in einem Club, auf einer Ausstellung, einem Konzert, beim Sport, beim Essen mit Freunden, auf der Party bei Bekannten, einer Elternversammlung, beim Nähkurs, beim Keramik-Bemalen, einfach in der S-Bahn oder oder oder … Nicht so seit Monaten. Nicht so seit es Covid19 gibt. Geht nicht – gibt’s eben doch.

Menschen bleiben in ihren Wohnungen, ihren Häusern, ihren Büros. Wenn sie doch mal unterwegs sind, dann mit Maske. So soll es sein. So ist es gut. Mit den Augen lächeln klappt inzwischen prima, aber jemanden Neues kennenlernen?

Im vergangenen Sommer meldete ich mich mutig für einen Konversationskurs Französisch an der Volkshochschule im benachbarten Ortsteil an. In Ermangelung einer ausreichender Anzahl an Interessent*Innen wurde der Kurs Mitte September leider abgesagt. Schade. Ich war so mutig und wollte doch wieder Französisch sprechen, traute mich endlich. Dann das. Mist. Daneben schaute ich immer wieder nach Treffen frankophoner und frankophiler Bewohner*Innen Berlins auf Meetup, einer Plattform, auf der jeder/r eine Veranstaltung (oder auch ganze Serien/Stammtische) initiieren kann. Es gab z.B. auch regelmäßig ein französisch-sprachiges Philosophie-Café, um sich über “Gott und die Welt” auszutauschen. Doch das traute ich mir und meinen verschütteten Sprachkenntnissen nun so gar nicht mehr zu. Also, was nun?

Französische Filme im Original schauen? Auf den hinlänglich bekannten Online-Streamingplattformen gibt es schließlich fast alles, sogar Lieblingsfilme auf Französisch, wenn ich wollte. Doch selbst dabei gerate ich ausserordentlich fix an meine Verständnisgrenzen, die Grenzen meiner sprachlichen Möglich- und Fähigkeiten. Ich frage mich seitdem immer wieder, wie meine und andere Kids es schaffen, komplette Serien auf Englisch förmlich zu inhalieren. Nun, wie wäre es mit Podcasts? Ach das war noch nie so wirklich mein Ding. Ich weiß ehrlich gesagt auch nicht, warum dieser Kelch der Offenbarung an mir seit Jahren einfach abprallt.

Tja, und dann gibt es da noch dieses vielfach verteufelte Facebook. Boah. Das ist so riesig.
Ja, ich habe auch einen Account, poste aber selbst nichts – schon gar nichts Privates. Der eigene Account ermöglicht mir jedoch, lokal auf dem Laufenden zu bleiben und mich beispielsweise mit Personen zu vernetzen. Bei meiner Recherche finde ich schließlich diverse FB-Seiten, auf denen sich Sprachen-Lernende zusammenfinden. Das nennt sich offiziell “TANDEM”. Passt eigentlich ganz gut oder? Jede/r weiß doch, was ein Tandem ist. Mal strampelt nur eine/r, dann tritt der/die andere in die Pedale, dann auch mal gemeinsam und voran kommen schließlich beide. Früher bezeichnete man so etwas schlicht als Brieffreundschaft. Heute läuft das via Messenger-Dienste vergleichsweise in Lichtgeschwindigkeit. Beide üben jeweils die Sprache des/der anderen, man korrigiert sich gegenseitig. So der Plan. Wäre das vielleicht eine Idee für mich?

Ich raffe mich und meinen Mut zusammen und bitte auf einigen – seriös wirkenden – Seiten um Einlass – sprich um Aufnahme in die Gruppe. Dazu muss ich teils Fragen beantworten oder meinen Wunsch, mitmachen zu wollen, hinreichend begründen. Es klappt. Ich werde Mitglied verschiedener Gruppen und poste dort am 09.11. mein Tandem-Gesuch …

Wer es genau wissen möchte und des Französischen nicht mächtig sein sollte, darf den Text gern abtippen und in einen Übersetzer eingeben oder fragt mich einfach 😉

“Hallo, ich suche ein nettes Tandem ü40 (glücklicherweise/gern aus Paris), um mein Französisch nicht zu verlieren und um mich über das Leben und die Kultur auszutauschen – nicht mehr und nicht weniger…”

O-Ton Claire bei der FB-Suche nach einem Tandem

Warum ü40? Nun, ich bin ja selbst kein Teenie mehr und möchte daher auch gern meine Altersklasse ansprechen – in der Hoffnung auf ähnliche Themen und Gedanken.
Warum Paris? Weil ich verliebt in diese Stadt bin und schließlich selbst in einer Metropole lebe.

Et voilà, es melden sich tatsächlich verschiedene Menschen. Schnell merke ich, einige von denen sind echt spooky und werden sofort von mir blockiert. Tschau Kakao. Hallo neue Welt. Tja, es gibt eben auch schräge Typen. Nun ja. Dessen war ich mir – leider ziemlich naiv – nicht so wirklich bewußt. Aber, wieder etwas dazugelernt und wer nicht ins Wasser geht, kann auch nicht schwimmen lernen. Ja ja. Also Augen auf bei den persönlichen Nachrichten (=PN). Wer schreibt da? Wer könnte das sein? Echt oder Fake? Gibt es Infos zur Person, vielleicht auch ein reales Profilbild? Aber was ist wirklich real?
Okay. Guck mal. Da schreibt eine Anne-Claire. Ich starte einen Versuch.

Zehn Tage später. Anne-Claire aus Paris ist real. Sie ist exakt im gleichen Alter. Sie ist verheiratet, hat noch ein Kind mehr als ich – sie alle sind nahezu im selben Alter wie meine Racker.
Das sind nur einige wenige unserer Gemeinsamkeiten. Seitdem schreiben wir uns täglich, teilen Fotos und Audios. Dabei herrscht zwischen uns Respekt, Höflichkeit, Anteilnahme, Ehrlichkeit, Offenheit und gegenseitiges Interesse – soweit ich das bisher jedenfalls einschätzen kann.

Anne-Claire möchte ihr Deutsch nicht verlieren, ich will mein geliebtes Französisch aufpeppen. Es macht so viel Spaß und Freude, sich kennenzulernen, von der Sprache, der Kultur der anderen zu profitieren. Momentan möchte ich sagen, der Sprung ins kalte Wasser hat sich gelohnt.
Vielleicht ist es genau diese andere Art, Sprache lebensnah zu Lernen, die ich mag.
Vielleicht ist es ein kurzes Intermezzo.
Vielleicht wird eine reale Freundschaft daraus.
Jetzt, hier und heute freue mich einfach auf diese neue Erfahrung.

Published inKolumne
et Claire