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Leise rieselt der Schnee

HARTLIEB_978-3-463-40086-0_kpl_neu.inddEin Winter in Wien
Petra Hartlieb
  • Gebundene Ausgabe: 176 Seiten
  • Verlag: Kindler
  • Erschienen: 21. September 2016)

Eine Buchhandlung, ein berühmter Dichter und ein verschneiter Winter in Wien: Bestsellerautorin Petra Hartlieb (“Meine wunder-volle Buchhandlung”) entführt uns in die Zeit des Wiener Jugendstils.Um 1910. Marie arbeitet als Kindermädchen bei einer angesehenen Familie im Wiener Cottage-Viertel. Eines Tages wird sie vom Herrn des Hauses zur nahegelegenen Buchhandlung geschickt, um ein Buch abzuholen. Doch sie kommt mit leeren Händen, völlig durchnässt vom Schnee, zurück. Der Band sei noch nicht eingetroffen, Buchhändler Oskar bringe ihn so bald wie möglich persönlich vorbei. Als Oskar am gleichen Nachmittag am Haus in der Sternwartestraße klingelt, hat er gleich zwei Bücher dabei: eines für den Herrn Schnitzler und das andere für Marie, mitsamt einer persönlichen Notiz an das Fräulein. Er möchte sie gerne wiedersehen…Eine wunderschöne historische Liebesgeschichte in bibliophiler Ausstattung.

MEINE REZENSION:

Ich sah das Buch und wusste, ich muss es haben, fühlen, lesen. Als ich es in Händen hielt, war es ganz genauso. Ein wirklich tolles, haptisches Erlebnis, bisschen old school und passend zum Inhalt. Irgendwie ist das Format so ganz anders und sticht heraus. Es war nicht so richtig praktisch zu halten in der S-Bahn und im Bett. Aber, wenn der Inhalt reizvoll ist, geht alles und hier passt es zusammen: Cover, Titel, Format und natürlich der Inhalt.

Ja, es ist eine romantische, historische Lovestory im verschneiten Wien. Ich sehe die Szenen greifbar vor mir, obwohl ich Wien nur im Sommerkleid kenne. Petra Hartlieb schafft es mühelos, den Leser in die alte Zeit der Droschken, des für junge Mädels gefährlichen Pflasters, der Wiener Wirtshäuser, des Praters und nicht zuletzt des Theaters zu ziehen. Ganz besonders wohl und heimelig fühlte ich mich im herrschaftlichen Hause der Schnitzers, nicht irgend ein Schnitzler, sondern Arthur Schnitzler (* 15. Mai 1862 in Wien, Kaisertum Österreich; † 21. Oktober 1931 ebenda) – ein österreichischer Erzähler und Dramatiker. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter der Wiener Moderne (Wikipedia) und ist mit der 20 Jahre jüngeren Olga Schnitzler verheiratet. Sie haben zwei Kinder, Heinrich (1902-1982) und Lili (1909-1928). Wir schreiben das Jahr 1911, die Kinder sind neun und zwei Jahre alt, als ein 18jähriges Kindermädchen ihren Dienst im Hause der Familie antritt.

Da ist die Mädchen-Kammer mit einem richtigen Federbett, dem schönen Ausblick und neben dran das Kinderzimmer der kleinen Lili. Der Alltag im Hause wird fein skizziert und ich hatte das Gefühl, stiller Beobachter zu sein. Schnell wird die Buchhandlung des Herrn Friedrich Stock zum Dreh- und Angelpunkt der Geschehnisse. Hier trifft das Kindermädchen Marie Haudinger neben einer Menge Schnee auf den jungen Buchhändler Oskar Nowak. Für Beide ist es der magic moment, in dem die Schmetterlinge trotz eisiger Zeiten in ihre Magengegend dauerhaft zur Untermiete einziehen. Wir erfahren auf 173 Seiten alles aus dem Leben der 18jährigen jungen Frau und auch die Geschichte des jungen Mannes. By the way sorgt die sympathische Köchin Anna in der gemütlichen Küche der Schnitzlers für Leib und Seele, dass es einem ganz warm wird ums Herz.

“Jetzt sei nicht so gschamig. Hungern muss bei uns niemand, dafür sorge ich. Iss den Kuchen, oder magst lieber ein Butterbrot?” S.17

Dann spitzen sich die Ereignisse zu und mir wurde ganz bang. Noch so wenige Seiten und so eine dramatische Entwicklung. Etwas wenig traurig war ich, als so schnell vorüber war. Ich hätte gut und gern noch 100 oder gar mehr Seiten lesen können. Doch dann war (M)Ein Winter in Wien schon wieder vorbei. Aber mein Winter in Berlin steht ja noch vor der Tür. Ach bittschön, Frau Hartlieb, ich hätt so gern gwusst, warum die gnädige Frau so unpässlich war (schwanger?), was aus Heini auf dem Gymnasium und Lili wird und natürlich wie sich die Beziehung der Verliebten entwickelt. Wird Oskar vielleicht den Laden weiterführen? Wie wird es dem gnädigen Herrn mit seinem Tinnitus ergehen und bleibt der Erfolg ihm hold? Ich brauch Nachschub. Ich glaub, ich bin jetzt a bissl süchtig nach dem verscheinten Wien.

“In den nächsten Jahren verging kein Tag, an dem Oskar sich nicht vorstellte, wie es wäre, in einem Laden zu stehen, umgeben von Büchern und von Menschen, die kämen, um diese Bücher zu kaufen und zu lesen.” S.98

Petra Hartlieb schreibt, als wäre die Zeit stehen geblieben und scheut sich auch nicht, im Dialekt zu verweilen, was dem Roman eine echte Wiener Authenzität verleiht. Keinerzeit ein Problem, dem zu folgen. Es macht’s halt gemütlich und heimelig. In einer Verfilmung sehe ich Marie mit Lili auf dem Schlitten den Gehweg hinuntersausen, die Wangen gerötet, Haarsträhnen lösen sich unter der Haube, die Röcke fliegen im Wind, daneben die Droschken und die alte Tram auf der Straße, Oskar mit Zylinder beim Spaziergang im schwach von Gaslaternen beleuchteten Park, Marie, in ihrem einzigen warmen, schwarzen Wollkleid hakt sich beim ihm unter… Dann die Krippe in Stocks Buchhandlung, die strahlenden Kinderaugen und natürlich der Christbaum in der Stube der Schnitzlers. Wann macht jemand einen Film draus???

Das wunderschöne Büchlein ist gewiss ein gelungenes Geschenk für Freunde , die den Zauber zum Jahresende mit Schnee und Romantik lieben oder vergessen haben. Die weihnachtliche Geschichte bringt alle Zutaten inklusive einer großzügigen Prise österreichischer Historie und Rainer Maria Rilke mit, passt perfekt in den Dezember, vielleicht auch schon in den November und versüßt auf jeden Fall den Vorweihnachtsstress auf sehr unterhaltsame Weise, egal ob in Wien oder Berlin.

Vier von fünf Sternen, weil es vielleicht hätte a bissl länger sein können/dürfen/sollen 🙂

Published inKolumneRezensionen
et Claire