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Gehen oder

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bleiben
Judith W. Taschler
  • Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
  • Verlag: Droemer HC (1.9.2016)

Mit “Die Deutschlehrerin” gewann Bestseller-Autorin Judith W. Taschler den renommierten Friedrich Glauser-Preis. In ihrem neuen Roman gelingt ihr abermals das Kunstwerk, literarisches Niveau mit klarer, unverwechselbarer Sprache zu verbinden. Eindrucksvoll schreibt sie über die großen Themen im Leben, wie Liebe und Verrat, Tod und Vertrauen.

Es ist eine kurze, zufällige Begegnung auf der Reise nach Italien: Max, Paul, Felix und Juliane – vier junge Leute, voller Träume für die Zukunft, treffen im Nachtzug nach Rom aufeinander. Juliane und Paul werden heiraten, Max und Felix sich auf eine Weltreise begeben.
Nach zwanzig Jahren trifft Juliane Felix zufällig in einer Galerie wieder und die beiden beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die er jedoch ohne jede Erklärung abbricht. Erst Monate später erfährt Juliane – ausgerechnet von ihrem Mann – den Grund.
Die Wahrheit ist furchtbar und lässt das Leben aller eine dramatische Wendung nehmen.

Bleiben – der Titel ist Programm und das zentrale bindenden Element zwischen vier Protagonisten. Julie (Juliane), die Cellistin mit der düsteren Vergangenheit, Paul, der spätere Anwalt aus gutem Hause, Felix, der segelnde Fotograf aus Südtirol und Max, der kochende Maler, der als Kind ins Heim gegeben wurde, treffen sich zufällig als junge Erwachsene in einem Zugabteil nach Rom.

Zwanzig Jahre später – Juliane ist die Frau von Paul, Max ist Felix Freund, Paul bekommt von Felix einen Auftrag, Juliane verliebt sich erneut in… wird nicht verraten. Selber lesen macht Freude! Let the show begin.

Pro Kapitel erzählt jeweils einer der vier Hauptdarsteller seine Sichtweise auf die Dinge. Dabei gibt es offenbar immer eine Person, die angesprochen wird, jedoch niemals antwortet. So muten die Kapitel eher wie Monologe, Gedächtnisprotokolle oder gar Beichten an. Die Zeitsprünge machten es mir gerade zu Beginn der Lektüre nicht leichter, den Geschehnissen zu folgen. Ich ertappte mich anfangs dabei, wie ich zurück blätterte und fast eine Mindmap in Erwägung zog. Wer hatte da gleich nochmal wann wen getroffen und warum? Ab Mitte des Romans ließ ich mich endlich von der Handlung tragen. Ich suchte nicht mehr zwanghaft nach einer Chronologie, sondern ließ mich auf die Ereignisse ein, in der Hoffnung, dass sich alles irgendwie ergeben wird. Und das tat es auch. Das Dickicht lichtete sich. Die Story nahm an Dramatik zu, wurde teilweise schwere Kost und konnte auch sehr überraschen.

Alle und alles sind miteinander verbunden. Das symbolisiert in starker Intensität das Cover – ein Cello, ein Strand, geteilt durch zwei Diagonale in vier Teile, zentral in der Mitte „bleiben“. „Bleiben“ – dieses alles bestimmende kleine Wörtchen. Bei sich bleiben, treu bleiben, in der Heimat bleiben oder einfach am Leben bleiben (wollen)? Und immer wieder die Wahl zwischen Gehen oder Bleiben mit allen Konsequenzen.

„Ich wusste, ich hätte immer noch bleiben können.“ S.97 (Juliane)

„Sie war wahrscheinlich die letzte ausschlaggebende Kraft, um mich für das Bleiben zu entscheiden.“ S.118 (Paul)

„…manchmal muss man auch den Mut haben, zu bleiben.“ S.134

„Ich möchte gerne noch bleiben.“ S.154

Judith W. Taschler gelingt hier tatsächlich ein großer Wurf. Die Art, wie sie das Leben, die Gedanken und Entscheidungen der vier skizziert und in Wort fasst, mutet fast philosophisch an. Tiefgang, der zum Nachdenken über das eigene Handeln anregt. Vier verschiedene Perspektiven eines Jahres, da war nicht allzu viel Platz für tiefe Emotionen oder Einblicke in die Abgründe der Seele jedes Einzelnen. Und dennoch ist dieser Roman etwas besonderes, weil eben anders. Ja, der Roman ist Moll, und er passt damit perfekt in den Herbst. Das sollte man wissen, mögen und annehmen.

Warum “nur” 4 von 5 Sternen? Vielleicht waren meine Erwartungen zu hoch, meine Gefühlslage während der Lektüre nicht perfekt, vielleicht hat mich das Leben bereits zu sehr erschreckt, als das mich die Handlung überraschen konnte. Dennoch mag ich dieses Buch, der Sprache wegen, der Fragen wegen und ob seiner Andersartigkeit 🙂

Published inKolumneRezensionen
et Claire