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Juliette im Bücherland

Christine Féret-Fleury
DAS MÄDCHEN, DAS IN DER METRO LAS

  • 176 Seiten, mit Lesebändchen
  • Verlag: DuMont Buchverlag GmbH & Co. KG
  • Originalverlag: Denoël
  • Originaltitel: La fille qui lisait dans le metro
  • Erscheinungstag: 22.05.2018
  • ISBN 978-3-8321-9886-2
  • Übersetzung: Sylvia Spatz

Welches Buch wird dein Leben verändern?

Jeden Morgen sitzt Juliette in der Metro auf dem Weg zu ihrer eintönigen Arbeit in einem Maklerbüro und taucht ein in die Welten ihrer Romane. Mal begibt sie sich mit Marcel Proust auf die Suche nach der verlorenen Zeit, mal begleitet sie Hercule Poirot im Orientexpress Richtung Istanbul – manchmal beobachtet sie auch einfach die Menschen um sich herum, die in ihre Lektüre vertieft sind. Es sind die Bücher, die Juliettes Leben Farbe verleihen. Als sie eines Tages beschließt, zwei Stationen früher auszusteigen, begegnet sie dem schrulligen Soliman, der mit seiner Tochter Zaïde inmitten seiner Bücherstapel lebt. Soliman glaubt, dass jedes Buch, wenn es an die richtige Person übermittelt wird, die Macht hat, ein Leben zu verändern. Auserwählte Boten liefern für ihn diese kostbare Fracht aus, an die, die sie nötig haben. Bald wird Juliette zu einer Botin, und zum ersten Mal haben die Bücher einen wirklichen Einfluss, auch auf ihr Schicksal.

Klappentext des Verlags

MEINE REZENSION

Ich habe mich sehr, wirklich sehr auf diesen kleinen Roman gefreut. Allein der Titel verspricht, alle meine Lieblingsthemen aufzugreifen – Paris, die Metro, eine junge Frau und vor allem Bücher, viele Bücher.

Bis zum Kapitel 24 zieren zahlreiche Klebchen meine Lektüre. Ich habe wunderbare Metaphern und Wortgebilde markiert, allesamt voller Poesie und fast schon philosophisch. Am Ende dieser Rezension werde ich, wie immer, einige davon herauspicken. Ich habe Beginn und Mitte der Story sehr genossen und sie mir fast häppchenweise zugeteilt, einfach, damit die Lesezeit der nur 176 Seiten nicht zu schnell vorbeigehen möge. Voller Vorfreude neigte sich der Roman seinem Ende zu. Ich war wahnsinnig neugierig, welche Auflösung der Geschichte mich erwarten würde. Wofür hat sich die Autorin entschieden, welche Entwicklung würde die Protagonistin einschlagen? Dann die Enttäuschung. Das ist natürlich eine ganz persönliche und liegt natürlich in der Natur der Sache, einer Rezension – meine höchst subjektive Einschätzung; ich habe mehr erhofft. Juliettes Weg ändert sich sehr abrupt in eine ganz andere Richtung als ich mir erträumte oder sogar befürchtete. Absichtlich habe ich eine Nacht darüber geschlafen, wollte wissen, spüren, wie sich die Story heute anfühlt. Leider genauso. Das Ende bleibt für mich unbefriedigend.

Ich kann hier wohl kaum über das Ende genauer schreiben, ohne zu spoilern. Daher werde ich das ganz sicher auch nicht tun. Möge sich jede/r sein eigenes Bild erlesen… Doch zurück zum Buch. Das Cover, das Lesebändchen, das hochwertige Papier, die Einteilung in Kapitel – all das machte die Lektüre des Romans zum Genuss. Übrigens, das Cover der deutschen ist auch das der holländischen Ausgabe. Die Cover der französischen und spanischen Ausgabe zum Vergleich sind ganz anders. Mir gefällt die spanische Variante auch sehr gut.

Die Handlung ist absolut chronologisch. Hier gibt es keine großen Sprünge durch die Zeit. Die Anzahl der Protagonisten ist überschau- und nachvollziehbar, die Anzahl der Schauplätze ebenso. Aus Solimans Vergangenheit wurde ich nur teilweise schlau, seine kleine, fast schon weiseTochter Zaïde blieb mir bis zuletzt ein Rätsel. Den Mann mit dem grünen Hut mochte ich sehr, ebenso Juliettes Kollegin Chloé – vielleicht weil diese ein wenig Normalität in die Geschichte brachte. Die Story um Boten, die Menschen beobachten, um ihnen den für sie perfekten Roman zu schenken, ist sicher weit hergeholt. Natürlich können Bücher nicht die Welt verändern, aber sie können sehr wohl den Anstoß dazu geben. Genau das hat Soliman mit seinen Kurieren im Sinn. Und genau das fühlt auch Juliette.

Soweit zur Handlung. Sprachlich hat mich dieser Roman mehr als überzeugt. In diesem Punkt ist er vielleicht sogar meine persönliche Entdeckung des Jahres (wenn das Wörtchen wenn und eben dieses Ende nicht wäre…). Die Art, wie die Autorin Christine Féret-Fleury die Gedanken und Gefühle beschreibt, ist einfach zauberhaft, einfühlsam, zart und dennoch voller Kraft. Sprachverliebten, bibliophilen Leserinnen und Lesern sei daher dieses kleine Büchlein ans Herz gelegt. Um diese Empfehlung zu untermauern, hier nun wie versprochen ein paar Zitate:

“…Wortschmetterlinge, die in dem überfüllten Metro-Waggon flatterten, bevor sie sich auf Juliettes Fingerspitzen niederließen.” S.14

“Sie hatte ihre Nase zwischen die Seiten gesteckt und den Duft eingeatmet, hier und dort Wendungen aufgeschnappt, unvollständige Absätze, Worte, die verlockten wie Süsses oder verletzen wie Klingen.” S.50

“Dieser Ort hätte such von einem Tag auf den anderen auflösen und wie durch eure Wolke durch Zeit und Raum schweben können, um woanders aufzuerstehen…” S.56

“Sie hatte seit einiger Zeit das Gefühl, dass das Leben ihr entglitt, sich ihr entzog wie unzählige Sandkörner, die durch einen fast unsichtbaren Spalt rieselten und mit ihnen unzählige Bilder, Farben, Düfte, kleine Verletzungen und Liebkosungen, winzige Enttäuschungen und vielleicht ebenso viele Tröstungen…” S.73

“Manche Bücher waren wie stürmische, andressierte Pferde, die mit einem davongaloppierten, während man sich klopfenden Herzens an ihre Mähne klammerte.” S.100

Vielen Dank an den DuMont-Buchverlag für das Rezensionsexemplar.

Published inKolumneRezensionen
et Claire