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Milch-Mädchen

Nell Leyshon
DIE FARBE VON MILCH
  • Aus dem Englischen von Wibke Kuhn
  • Originaltitel: The colour of milk, Fig Tree 2013
  • 208 Seiten
  • Gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen
  • ISBN: 978-3-96161-000-6
  • Erschienen am 22. September 2017 im Eisele-Verlag

Mary ist harte Arbeit gewöhnt. Sie kennt es nicht anders, denn ihr Leben auf dem Bauernhof der Eltern verläuft karg und entbehrungsreich. Doch dann ändert sich alles. Als sie fünfzehn wird, zieht Mary in den Haushalt des örtlichen Dorfpfarrers, um dessen Ehefrau zu pflegen und ihr Gesellschaft zu leisten – einer zarten, mitfühlenden Kranken. Bei ihr erfährt sie erstmals Wohlwollen und Anteilnahme. Mary eröffnet sich eine neue Welt. In ihrer einfachen, unverblümten Sprache erzählt sie, wie ihr Schicksal eine dramatische Wendung nimmt, als die Pfarrersfrau stirbt und sie plötzlich mit dem Hausherrn alleine zurückbleibt.

Nell Leyshons erster Roman, Black Dirt, stand auf der Longlist des Orange Prize und auf der Shortlist des Commonwealth Prize. Ihre Theaterstücke und Hörspiele erhielten ebenfalls zahlreiche Auszeichnungen. Für ihren zweiten Roman, “Die Farbe von Milch”, war sie neben James Salter und Zeruya Shalev für den Prix Femina nominiert. Nell Leyshon wurde in Glastonbury geboren und lebt in Dorset.

MEINE REZENSION

Ein ungewöhnlicher Roman über ein Mädchen, dessen Haare die Farbe von Milch haben, das muss ich zugeben. Die Sprache – ungeschliffen, rau, ursprünglich. Es dauerte eine Weile bis ich begriff, das soll so sein. Da gibt es keine Kommata. Da gibt es viele Wiederholungen. Da gibt es diese einfachen Sätze. Das ist das Tagebuch eines jungen Mädchens.

Mary erzählt uns ihre Geschichte aus der Retrospektive. Wir schreiben das Jahr 1830. Sie ist die jüngste von vier Töchtern eines Bauern und zudem hat sie seit Geburt ein schiefes Bein. Trotzdem müssen die vier Schwestern hart arbeiten, um dem Vater den Sohn, den er sich immer wünschte, irgendwie zu ersetzen. Von früh bis spät schuften sie auf dem Hof und den Feldern. Sie teilen sich die Betten und die kargen Mahlzeiten. Dennoch findet Mary immer einen Moment der Muße, die Natur, die Landschaft zu beobachten und vor allem ihren Großvater in der Apfelkammer zu besuchen, zu pflegen, zu unterhalten. Dieses knapp 16jährige Mädchen stellt nichts infrage, hat keine Wünsche, keine Träume.

Alles sollte sich ändern, als sie vom Vater in das Pfarrhaus „verkauft“ wird, um dort als Magd zu arbeiten. Plötzlich gibt es wärmende Kamine, genug zu essen, ein eigenes Bett, saubere Kleidung und sogar Bildung. Die sehr kranke Dame des Hauses genießt Mary’s Gesellschaft sehr. Das Mädchen ist fleißig, aufmerksam, geduldig und nicht auf den Mund gefallen. Ungewöhnlich für diese Zeit. Sie sagt, was sie denkt, ob positiv oder negativ. Sie wertet nicht und noch viel irritierender, sie zeigt so gar keine Emotionen. Und das ist genau der Punkt, warum mich dieser Roman so zwiespältig zurücklässt. Diese blutjunge Frau mag ungebildet sein, eine überaus harte, entbehrungsreiche und verletzende Kindheit gehabt haben. Doch schließt das zwingend aus, dass sie Träume, Ängste, Wut, Verzweiflung, Liebe spürt? Sie mag den Großvater lieben, den Vater fürchten, die Pfarrersfrau schätzen, den Pfarrer … nun ja. Ich möchte nicht spoilern. Das Ende – erwartet und zugleich unerwartet. Die Geschichte geht zu Herzen, liest sich trotz der Holprigkeit der Sprache mal eben so weg.

Ich wollte die Geschichte lesen und erfahren, was das Mädchen durchmacht. Die Darstellung des Lebens der armen Landbevölkerung ist nach meiner Meinung gelungen… Vieles deckt sich mit den Erzählungen meiner Großmutter, die in den 1920er Jahren auf dem Land aufwuchs. Aus ihren Erzählungen weiß ich auch, dass es wenig bis keine Zeit für Romantik, Bücher oder Träume gab, der Tag sich nach den zu verrichtenden Arbeiten richtete und der Wochentag keine entscheidende Rolle spielte – bis auf den Sonntag mit dem Kirchengang. So ist es verständlich, dass auch sie bis ins hohe Alter eine sehr pragmatische Frau war, die in ihrem Leben und ihrem Alltag mit Haus & Hof oftmals einfach funktionieren musste.

Lesenswert ja mit leichten Abstrichen wegen der – für mich – fehlenden Emotionen, für die zu dieser Zeit vielleicht einfach kein Platz gewesen sein mag.

P.S. Wie sehen wohl Haare aus, die die Farbe von Milch haben.. ?

Published inKolumneRezensionen
et Claire