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VW-Bus ins Leben

Anne Freytag
“irgendwo dazwischen”
  • Taschenbuch: 612 Seiten
  • Verlag: CreateSpace Independent Publishing Platform (30. September 2013)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 1492824380

COMING-OF-AGE-Roman.

Lili ist verliebt in Elias. Emma schläft mit Clemens, liebt aber Stefan – und der ist in Kanada. Emma ist perfekt, Lili ihr Schatten. Lili ist klug, Emma blond. Marie liebt Lili, Lili liebt Elias, und Elias bekommt Besuch von Giselle. Emma weiß, dass Clemens sie nicht liebt. Lili redet sich ein, dass sie Elias nicht liebt und Marie denkt, sie weiß, was sie will – bis zu dieser Nacht mit Paul. Und alle suchen nur eines. Sich selbst. Was ist man denn, wenn man weder Kind noch erwachsen ist? Verwirrt. Unter Druck. Und unsicher. Die Hormone setzen die Segel auf einer Irrfahrt die sich Erwachsenwerden nennt.

MEINE REZENSION:

Dankbar, dieses Buch empfohlen bekommen zu haben, möchte ich hier meine Eindrücke schildern.

Cover und Titel passen zur Story wie Topf und Deckel.

Vorab schon mal so viel: Es ist das zauberhafte Erstlingswerk von Anne Freytag, die ich nach der Lektüre von „Mein bester letzter Sommer“ sehr ins Herz geschlossen habe. Die Messlatte lag nach Krabbe & Stoffhase sehr hoch und ich hatte nicht so wirklich eine Ahnung, was mich erwartete, wohin die Reise diesmal gehen würde – die Klappe versprach haufenweise verzwickte Liebesgeschichten.

Emma, Lili und Marie stehen mit ihrer Suche nach der eigenen Identität im Fokus der Story. Marie liebt Lili und andere Frauen, aber eigentlich doch Paul oder? Emma – die schöne Blume, die von den Männern wie eine Trophäe gepflückt wird, leidet trotz oder gerade ob ihrer Schönheit unter mangelndem Selbstbewusstsein, vermisst schmerzlich ihre große, in Kanada weilende Liebe Stefan und kompensiert den Verlust durch zahllose Affären. Lili liebt Marie – aber nicht so wie Marie Lili und eigentlich mag sie Clemens oder doch Elias? Nichts ist so, wie es scheint und jeder liebt offenbar jemanden Unerreichbaren, der genauso gut auf einem anderen Planeten wohnen könnte.

„Er liebte mich. Ich liebte Lili. Lili liebte Elias. Und Elias liebte Geselle.“ S. 139

Weitere Schauplätze sind Emmas Schwestern Lia und Leni sowie ganz wichtig: die Mütter mit all ihren Erfahrungen. Mit den Kapiteln wechselt Anne Freytag die Protagonisten, bleibt jedoch immer in der Ich-Perspektive. Das war eine interessante Erfahrung und machte die Lektüre spannend. Da ich als Leserin natürlich immer ich bleibe, sah ich mich genötigt, die Rollen zu wechseln, um mich in die verschiedenen Ichs der Charaktere hineinzudenken.

Dieser Roman ist wie erwartet aufregend, witzig, verworren und allem voran: echt. Mal fühlte und litt ich mit Emma, dann dachte ich, ich war auch mal wie Lili, nur Marie blieb mir etwas fremd, jedoch nicht unsympathisch. Die Mädels und Jungs im Roman sind um die zwanzig und eben auf der Suche nach DEM Partner. Das ist bis ca. Dreiviertel des Romans das alles bestimmende Thema. Daneben geht es auch um Filme, Literatur und die eigene berufliche Perspektive. Und es gibt viel S e x. Die zarten Liebeserfahrungen werden behutsam geschildert, ohne Voyeurismus, ohne platt oder derb zu wirken. Im Gegenteil, ich konnte mitfühlen, mitleiden.

An dieser Stelle gibt es dennoch eine winzig kleine Einschränkung in meiner Lobeshymne – ein wenig vermittelt der Roman die Botschaft für mich: Wenn frau erst den Richtigen, die große Liebe findet, kommt sie eigentlich immer… Weckt das nicht sehr hohe Erwartungen? Was, wenn sich diese Prophezeiung nicht bewahrheitet? Wie viele junge Mädchen, Frauen sind in der Lage, so zu empfinden, das zu erleben? Im Roman tatsächlich alle. Gerade die blutjunge Leserschaft könnte unter Umständen nach der Lektüre von der Realität ziemlich überrascht, wenn nicht gar desillusioniert werden. Aber: ein gutes Buch soll die Phantasie beflügeln, zum Träumen einladen und das schafft Anne Freytag zu 100%.

Per VW-Bus nach “spontan” nach Istrien. Dort war alles gut, wie es war und es hätte vielleicht auch das Ende sein können. Diese Reise wird zum Sinnbild – für jede von ihnen auf die eine oder andere Art und Weise… Danach ändert sich die Zeitebene. Zunächst war ich ein wenig enttäuscht. Die Autorin springt schließlich fast 10 Jahre vorwärts. Ups.

Doch dann hatte sie mich… Wow. Toll gemacht. Denn noch immer ist nichts wie es scheint und alles beginnt sich zu sortieren. So oder so. Interessante Perspektiven der Mädels und ihrer Lebenswege eröffnen sich dem Leser und machen aus dem Roman mehr als viele bunte Liebesgeschichten im Coming-of-Age-Stil, nämlich einen Roman mit Tiefgang, mit Fragen und Antworten, Geständnissen und Entscheidungen – alles ist immer im Fluss. Das erfahren Emma, Lili und Marie mit Haut und Haaren – ihre Freundschaft ist für sie dabei wie ein Leuchtturm in schwerer See.

Viele wunderbare Zitate habe ich markiert. Hier eine kleine bescheidene Auswahl:

„… dass meine Brüste sich endlich dazu entschließen, proportional mit meiner Körpergröße mitzuhalten.“ S.3

„Männer sind … Eine Art innere Haarkur.“ S.4

„Mein Über-Ich und ich haben sich verbündet und gehen auf mein Es los…“ S.5

„Hätte ich gewusst, dass sie mit Saugnapf kommt,…“ S.23

„…isch möschte bittö mit dir redön. Jetzt gleisch.“ spricht die süße Giselle auf S.71

„Paul. Wer ist eigentlich Paul?“ S.254 – gab’s das nicht schon mal irgendwo in der Werbung?

„Zwischen meinen Beinen haben sich Spinnweben gebildet…“ S.431

Ich werde das Buch weiterempfehlen und zwar aus voller Überzeugung! Und trotz meiner geäußerten Bedenken – und einer perfekten Wohnung mit Dachterrasse in München (gibt’s sowas?) sowie irre frühen S e x nach der Geburt von Nr.3  bekommt dieser Roman 5 Sterne für ein Leseerlebnis der besonderen Art – schon morgens früh in der S-Bahn 🙂

P.S. Absichtlich langsames Lesen kommt bei mir selten vor – hier war es so, denn ich wollte einfach nicht, dass es schon vorbei ist!

Published inKolumneRezensionen
et Claire