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Motte will ins Licht

Den Mund voll ungesagter Dinge
Anne Freytag
  • Broschiert: 400 Seiten
  • Verlag: Heyne Verlag (6. März 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3453271033
  • ISBN-13: 978-3453271036
  • Vom Hersteller empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren

Wenn Sophie es sich aussuchen könnte, wäre ihr Leben simpel. Aber das ist es nicht. Und das war es auch nie. Das fängt damit an, dass ihre Mutter sie direkt nach der Geburt im Stich gelassen hat. Und endet damit, dass Sophies Vater plötzlich beschließt, mit seiner Tochter zu seiner Freundin nach München zu ziehen. Alle sind glücklich. Bis auf Sophie.

MEINE REZENSION

Tolles rotes Cover mit einem Girl-next-door darauf. Schräger Titel, 400 Seiten – 24h. All das spricht für einen Roman, der mich offenbar abholen konnte. Sophie – liebevoll “Motte” von ihrem Vater genannt, selbst konnte es auf den ersten Seiten nicht. Sie war mir zunächst sehr fremd, extrem sprunghaft in ihrem Verhalten, per se überaus verschlossen, schwankend zwischen Trotzkopf und Femme fatale, mit einer oft recht derben Ausdrucks-/Denkweise. Und sie hatte eben den Mund voller Worte, die einfach nicht herauskommen wollten. Eine Motte, die das Licht scheute… Warum dem so war, sollte sich bald herausstellen. Offenbar liegen die Gründe dafür in der Vergangenheit und der Gegenwart. Wird sich “Motte” Sophie die Flügel verbrennen oder im Licht erstrahlen?

Durch die zügige Annäherung nach dem Umzug an ihre Nachbarin Alex wurde Sophie weicher, umgänglicher, vertrauter. Ihr Verhalten Lena, als neuer Stiefmutter gegenüber ist aus der Sicht eines entwurzelten, verzweifelten Teenagers durchaus verständlich. Die Stiefbrüder hingegen können schnell das Herz der großen Schwester erobern, vor allem der Kleine schafft es, hinter die Maske zu schauen – ebenso wie Carlos, der Familienhund.

Etwas befremdlich fand ich die Gegend, die neuen Mitschüler – alles ist gehoben, wirkt glatt, sehr elitär. Die wunderschöne Fassade der Nachbarn kann deren Unzulänglichkeiten nur kurz übertünchen. Schnell wird klar, familiäre Probleme machen vor Reichtum nicht halt. Geld scheint im übrigen keine Rolle zu spielen… Es sind Osterferien, kurz vorm Abitur kommt Sophie in eine neue Schule  – von Hamburg nach München – und hat keinerlei Anpassungsprobleme?! Sicher kommt ihr die schnelle Freundschaft zu Alex und die daraus resultierende Integration in eine bestehende Gruppe zugute. Doch so schnell – wow! Schauplatz des Dramas ist jedoch ein anderer. Das spielt sich in Sophies Gefühlswelt ab.
Wen liebt sie und warum? Wird sie genauso geliebt? Was will sie?

Ich werde nicht spoilern, aber der Weg, den Sophie in den wenigen Wochen von April bis zum September zurücklegt, ist ein steiniger, schmerzvoller und zugleich lebensbejahender Weg. Sie lernt, sie selbst zu sein, sich und anderen zu vertrauen und endlich kommen all die ungesagten Dinge aus ihrem Mund – wie die Motte ins Licht.

Anne Freytag schafft mit ihrer ganz eigenen Sprache den Spagat zwischen Kind, Teenie und Frau, manchmal deftig, manchmal kindlich. So ist sie ihrer Leserschaft bestens bekannt. In knackigen Kapiteln erlebte ich die Achterbahnfahrt einer Siebzehnjährigen wie im Zeitraffer. Werte, wie Freundschaft, Liebe, Familie sind das zentrale Thema des Romans für junge Leute ab 14 Jahren. Die Autorin möchte offenbar mit ihrem Roman Heranwachsenden Mut geben, Veränderungen anzunehmen, sich darauf einzulassen und versucht den ganz wesentlichen Impuls zu geben – darüber REDEN ist der erste Schritt.

Hier ein paar Zitate, die – Vorsicht -, manchmal auch recht deftig ausfallen:

“Lena ist die erste, die ihm seit der Frau, die mich geworfen, aber nicht gewollt hat, etwas bedeutet.” S.10 (eig. Anm. das ist schon ein recht derber Begriff für eine Geburt)
“Sie hat das Näschen eines Kindes und den Mund einer Hure… So kam er auf Schneeflittchen…” S.15
“Ich liege wie ein manövrierunfähiges Schlachtschiff in einem Meer aus vollgeschwitzter Bettwäsche.” S.111
“Ich bin nach wie vor das mutterlose Mädchen, das vor Kurzem in die Dienerwohnung der eigentlich gar nicht so bösen Stiefmutter gezogen ist.” S.136
“… und ich bin kurz davor, ihr alles zu erzählen. Ich habe den Mund voll ungesagter Dinge.” S.215

Der Roman wird Jugendlichen ab 14 Jahren zur Lektüre empfohlen. Ich persönlich bin jedoch der Meinung, 16 Jahre wäre ein angemesseneres Alter.

Ein herzliches Dankeschön dem Heyne-Verlag das Rezensionsexemplar.

Published inKolumneRezensionen
et Claire