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Unglück im Glück

Die kleinen Arrangements unserer Herzen
Camille de Peretti
  • Taschenbuch: 208 Seiten
  • Verlag: Rowohlt Taschenbuch Verlag
  • Auflage: 1 (22. April 2017)
  • Originaltitel: Petits arrangements avec nos coeurs

Camille ist 16, als sie von Stanislas ihren ersten Kuss bekommt. Er ist fürchterlich verliebt in sie, auf dem Gymnasium sind sie für kurze Zeit ein Paar. Aber dann serviert sie ihn schnöde ab, das kleine hübsche Luder.
Jahre später treffen sie sich wieder. Camille hat inzwischen geheiratet, Stanislas ist ungebunden, er hat in England eine Karriere als Banker gemacht. Der Zauber der Jugenderinnerung wirkt. Camille verlässt ihren Mann und Paris und zieht zu Stanislas nach London. Stanislas liegt Camille zu Füßen, er überschüttet sie mit Geschenken, Geld spielt keine Rolle, sie trinken Champagner wie Wasser, sie reisen, wohin immer die «Prinzessin» will.
Der Höhepunkt des Romans ist ihre längste Reise – on the road durch Amerika: Von New York nach Texas, Dallas, New Orleans. Sie haben sich ihren größten Wunsch erfüllt.
Aber unaufhaltsam spüren sie eine gewisse Leere in sich aufsteigen. Zweifel nagen an den beiden, das kleine Unglück im großen Glück klopft an. Kann man eine Liebe festhalten, für die man viel aufgegeben hat?

MEINE REZENSION

Ein wunderschönes Cover – mit den rosa Lippen einer jungen Frau, eine unschuldig weiße Bluse, ein federleichtes Dekolleté. Ein Roman mit einem wunderschönen Titel, der eins zu eins ins Deutsche übersetzt wurde. Geschrieben von einer bezaubernden, gebürtigen Pariserin, Camille de Peretti

Die Lektüre konnte also beginnen. Alles schien perfekt und zugleich war es das nicht. Dieser Roman lässt mich enttäuscht zurück, konnte meinen (zu hohen?) Erwartungen nicht gerecht werden. Was hatte ich mir erhofft? Die versprochene, viel zitierte französische Leichtigkeit, Tiefgang, eine Entwicklung der Hauptfigur Camille. Warum benennt die Autorin ihre Protagonistin nach ihrem eigenen Vornamen?

Zurück zum Roman. Ich erlebe die junge, sechzehnjährige Camille, die den schwer in sie verliebten Stanislas de B. eiskalt abserviert. Die Handlung springt knappe zehn Jahre weiter. Camille ist Mitte zwanzig, mit César verheiratet – doch nicht wirklich glücklich. Sie googelt ihre Jugendliebe und es entspinnt sich zunächst eine schriftliche Liaison. Bis hierher war ich noch recht angetan von der Story…

„Nichts ist so verwirrend, wie ein Briefwechsel, nichts ist so perfekt dafür geeignet, sich zu verlieben.“ S.44

 

„Die Möglichkeit des Ehebruchs schwingt mit, aber ganz unschuldig, man erwartet die Mail im Geheimen, aber guten Gewissens; schreiben ist nicht dasselbe wie betrügen.“ S44

Es kommt, wie es kommen muss. Camille zieht den Schlussstrich unter ihre Ehe mit César. Doch erst als sie im neuen Hafen fest vor Anker geht. Auch dafür findet die Autorin ganz aussergewöhnliche Metaphern:

„Eine Trennung ist wie ein chirurgischer Eingriff. Erst kommt die Narkose, bis alles ruhig ist. Dann schnitzt man seine Sätze mit dem Skalpell zu… „ S.52

Camille zieht zu Stanislas nach London. Auf den nächsten über hundert Seiten wird nun das ausschweifende Leben der beiden beschrieben – von der Suche und präzisen Einrichtung ihres Nests bis zu ihren Verabredungen, Urlauben – immer im größten Luxus, dass es mir irgendwann gewaltig auf den Keks ging. Unglück im Glück? Ich wollte in ihre Herzen schauen und sah auf ihre Teller, hörte ihre Gespräche und konnte ihnen nichts abgewinnen. Ja, da ist Camilles Unsicherheit bezüglich ihrer Rolle in seinem Leben. Da ist dieser kühl-berechnende Trader Stanislas de B., der ihr jeden, aber auch jeden Wunsch erfüllt. Da sind die anderen Banker-Frauen. Und ja – Camille ist anders und verbiegt sich dennoch. Ist das ihre Entwicklung? Geht es darum, sie dabei zu beobachten, wie weit sie geht, sich selbst belügt, um das zu bewahren, was sie einst von sich stieß? Und was ist mit ihm? Was will er eigentlich? Ganz zum Ende des Romans wird deutlich, wie es um sein Herz bestellt ist.

Ich werde das Gefühl nicht los, dass die beiden einfach hätten reden müssen. Nein, nicht alle Träume werden wahr und man/frau sieht nur mit dem Herzen gut. Doch mir scheint, Camille liebt ihn so wie er sie nur mit Kopf und Körper, nicht mit dem Herzen… Sie weint viel. Sie ist eine Künstlerin, Schriftstellerin. Ihre Welten mögen sehr konträr sein, aber sie könnten sich ergänzen, wenn sie es zuließen.

„Ich war sein Geschichtenerzähler, sein Hofnarr, der Spaßmacher und Barde, seine Gesellschaftsdame, ich war Hure und Privatlehrerin in einem…“ S.73

So sieht sich Camille recht schnell und kann damit kaum umgehen. Was hat sie erwartet? Drei Jahre verliebte Schmetterlinge? Das und die romantische Erinnerung an eine Jugendliebe taugen kaum als Fundament für eine Beziehung oder gar Ehe. Dieses Begreifen beschreibt die Autorin ein ums andere Mal ausführlich, hingebungsvoll. Mich hat es ermüdet. Ich konnte nicht mehr zusehen. Ich wollte, dass diese Frau endlich zu ihrem Herzen steht und ihr Leben in die Hand nimmt.

„Genügt es, nicht mehr mit einem Mann leben zu können, damit man auch ohne ihn leben kann?“ S.184

Was genau sucht diese Camille? Die ewig währende Liebe? Einen Beschützer und Ernährer? Den Traumprinzen? Kann sie allein mit sich sein? Vielleicht ist das alles mit Mitte zwanzig nicht so einfach. Vielleicht braucht es diesen langen Weg der Erkenntnis. Und dieser Weg ist trotz des Luxus ein steiniger und bei weitem nicht so leicht, wie erhofft. Das gilt auch für die Lektüre des Romans.

Auf literaturmarkt.info schreibt Susann Fleischer am 04.01.2016 voller Begeisterung über diesen Roman:

>> Unterhaltung voller Emotionen und einzigartiger Lesemomente – bei der Lektüre von Camille der Perettis Büchern weint man ganze Sturzbäche von Tränen. Ab der ersten Seite von “Die kleinen Arrangements unserer Herzen” bleibt garantiert kein Auge trocken. Wenn eine französische Autorin jemals einem Vergleich mit Jojo Moyes standhalten konnte, dann definitiv und ohne jeden Zweifel de Peretti. <<

Ich gehöre zu der Sorte Leserinnen, die durchaus bei einer Lektüre ungehemmt weinen und lachen können. Das war hier leider nicht der Fall.

Ganz allein scheine ich mit meiner Meinung jedoch nicht zu sein, wenn ich in der Rezension von Karin Hahn lese:

>> Im Nachhinein jedoch fragt man sich als Leser, warum fesselt diese Geschichte nicht, plätschert einfach nur so dem Ende entgegen? Wie sinnentleert leben Menschen, die alles haben? … Was fangen wir mit einer Heldin an, die nur im nächsten Mann den Lebenssinn finden kann, um dann erneut einen Erinnerungskarton zu packen und vielleicht einen neuen Roman zu schreiben? <<

MEIN FAZIT

Gestaltung und Sprache top. Einstieg und Ende vielversprechend. Ansonsten ist „Die kleinen Arrangements unserer Herzen“ für mich ein Roman voller Luxus-Beschreibungen und mit zahlreichen Längen. Camille und Stanislas blieben mir bis zuletzt fremd. Schade.

Mit viel gutem Willen 2,5-3 von 5 Sternen, weil ich dieses Mal ein wenig an meiner eigenen Wahrnehmung zweifle. Habe ich etwa schon wieder das richtige Buch zur falschen Zeit gelesen?

Ich versuche inzwischen, zu jedem Post einen Titel zu finden, der meine Emotionen widerspiegelt. Neben Material Girl von Madonna fand ich diesen Song irgendwie passend:

Herzlichen Dank an den Rowohlt Verlag für das Rezensionsexemplar.

 

 

Published inKolumneRezensionen
et Claire