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Lola rennt

Julie Estève – Lola
  • Gebundene Ausgabe: 160 Seiten
  • Verlag: Rowohlt; Auflage: 1 (18. August 2017)
  • Sprache: Deutsch
  • ISBN-10: 3498090941
  • ISBN-13: 978-3498090944
  • Originaltitel: Moro-sphinx
  • Größe und/oder Gewicht: 13,2 x 1,7 x 21 cm

Der erste Roman der französischen Autorin Julie Estève steht in der feministischen literarischen Tradition von Virginie Despentes und Elfriede Jelinek. Es ist ein aufmüpfiges Buch über Erotik, Sex, und eine Frau, die in kein Schema passt.

Lola zieht auf High Heels, in Minirock und Netzstrümpfen durch Paris. Sie sucht Sex – und findet ihn. Sex als Mittel zum Vergessen. Als Lola acht Jahre alt war, starb ihre Mutter bei einem Verkehrsunfall, Lola wurde aus einer idyllischen Kindheit gerissen und hat diesen Verlust nie überwunden. Sex als Mittel gegen den Schmerz.
Sex aber auch als Kampfansage an die Doppelmoral der feinen Franzosen. Für Frauen wie Lola gibt es keinen Platz in der feinen französischen Gesellschaft, und dafür rächt sie sich. Ob Schuster, Geschäftsführer oder Kritiker, sie bekommt sie alle. Und sie erniedrigt sie alle, denn ihre Wut ist groß. Auch ihr Nachbar – Dove mit den bernsteinfarbenen Augen – will es mit ihr aufnehmen und bringt ihr ein Stück feiner selbst gemachter Schokolade. Der Duft steigt ihr in die Nase: Es ist der Beginn einer kriegerischen Freundschaft. Dove ist das Gegenteil von ihr, herzlich, häuslich, und er hat einen festen Lebensplan, in dem Lola eine Rolle spielen soll, die ihr fremder nicht sein könnte …

Julie Estève schreibt über weibliches Begehren, über Lust und ihre Nähe zum Hass. Über Eleganz, Charme und Verführung. Voller Ironie und tiefschwarzem Humor spielt sie gekonnt mit allen erdenklichen französischen Klischees. Ein fesselnder Debütroman, dessen Sog man sich nicht entziehen kann. Provokant, gewagt, zeitgenössisch.

MEINE REZENSION

Frankfurter Buchmesse. Da steht dieser kleine Roman in der Bücherwand des Rowohlt Verlags und zieht mich in seinen Bann…
Dieses Cover – so anders.
Diese Frau – so wunderschön, klassisch, ein wenig verrucht, sexy, zart, geheimnisvoll.
Der Name – Lola, steht für meine Assoziationen.
DAS Büchlein muss ich haben, will ich lesen. Also, gedacht, gemacht, gelesen.

Tatsächlich verkörpert die Protagonistin all diese oben genannten Eigenschaften auf sich. Allerdings empfinde ich sie in meiner Vorstellung als nicht soooooo schön, wie die Dame auf dem Cover. Lola ist keine Dame. In meinen Gedanken wirkt billiger, in ihren ultra-kurzen Röcken, auf ihren unendlich hohen Schuhen, das Gesicht voller Schminke. Schnell wird mir klar, diese Frau hat ein Problem, wenn nicht gar viele. Nein, sie ist nicht sympathisch, sie ist eine Femme fatale. Sie kompensiert Nähe & Liebe durch Eroberungen & schnellen Sex, immer im Blick: ihre Trophäen-Sammlung. Lola rennt. Sie rennt weg vor der Wirklichkeit, rennt weg vor der Vergangenheit, vor der Gegenwart, der Nähe und der Liebe. Sie kann nicht anders. Sie muss rennen. Zuviel scheint zerbrochen in ihr.

Das Paris der Lola ist natürlich nicht das Paris, das ich zu lesen liebe. Das ist ein anderes Paris und sehr konträr zu allen Klischees. Doch man muss Lola nicht mögen, um sie zu verstehen. Lola braucht kein Mitleid, sie braucht Hilfe. Man möchte schreien, toben, sie in den Arm nehmen, reden…
Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es. Stirbt hier nur die Hoffnung? Ich will nicht spoilern…

Für mich war die Lektüre schwierig, stilistisch durchaus ein Genuss, inhaltlich schwere Brocken – nichts also mal eben to-go.

Das ist also das Debüt von Julie Estève , einer Pariserin Ende 30, geschrieben in feministischen literarischen Tradition von Virginie Despentes und Elfriede Jelinek?
Ich gestehe, dass ich mich auf diesem Gebiet nicht auskenne und werde daher auch kein Statement dazu abgeben. Sicher ist für mich jedoch, dass dieser Roman kein Mainstream ist. Wer sich darauf einlässt, taucht ein in eine andere, dunklere Welt, die den meisten von uns fremd sein dürfte, die letztlich eine Art der Trauerarbeit ist, wenn nicht gar eine Art Therapie schwerer Depressionen?
Wie auch immer, sprachliches Staccato, bisweilen durchaus deftiger Natur mit wechselnden Perspektiven:

“Es ist auf einmal Herbst geworden, er zaubert Farbe auf die Blätter der Bäume … schlendert durch den weinroten Blätterwald und betrachtet die im Sterben begriffene gold- und karmesinfarbene Natur.” S.46

“Eine wahre Geschmacksexplosion, erst gewaltig, aber zärtlich im Abgang.” S.49

“Sie wird es kosten, es sich schmecken lassen und hinterher wieder auskotzen.” S.92

“Die Tauben kacken, vögeln um die Wette und legen zackig ihre Eier.” S. 117

“Was wird aus der Liebe, wenn die Nachttischlampe erlischt und sie den schweren, trägen Geruch ihrer Gesichtscreme verströmt? Oder er sofort zu schnarchen beginnt?” S.141

Vielleicht passt “Lola” nicht unbedingt als Geschenk unter den Weihnachtsbaum, doch für Leser/innen anspruchsvoller Literatur ist es ein durchaus empfehlenswerter kleiner Roman. Findet selbst heraus, warum der Leinen-Einband unter dem schönen Cover schokoladenbraun ist 😉

Published inKolumneRezensionen
et Claire