Lesung mit Benedict Wells auf dem 16. Internationalen Literaturfestival in Berlin
(M)Ein Abend mit Benedict Wells.
Fifty fifty. Ist das nun gut oder schlecht oder beides?
Die Lesung am 08.09.2016 im Heimathafen Neukölln irgendwo an der Herzspitze der City war hundert Prozent gut. Oder Moment. Einigen wir uns auf neunundneunzig.
21 Uhr: der Direktor des 16. Internationalen Literaturfestivals begrüßt die Gäste im Saal, erläutert kurz seine Beweggründe, zu diesem Anlass auch einheimische Autoren eingeladen zu haben, darunter eben jungen, sympathischen Benedict Wells, Autor von “Becks letzter Sommer”, “Der Spinner”, “Fast genial” und einen seinem neuesten Werk “Vom Ende der Einsamkeit”.
Der Moderator betritt gemeinsam mit Benedict Wells die spartanisch anmutende Bühne und beide nehmen Platz. Im Hintergrund weht ein hauchzarter – virtueller – Vorhang sanft im – virtuellen – Wind. Die Luft im Saal ist schwül, das Publikum in freudiger Erwartung dessen, was kommen mag. Die ca. 200 Anwesenden blicken gespannt zu dem so frisch, unverbraucht, natürlich, locker und jung anmutenden, 32jährigen Wells.
Pünktlich beginnt das Interview. Der Moderator, offenbar ähnlich charmant nervös wie der Autor an seiner Seite, versucht sich – zunächst noch leicht verkrampft – in lockerem Smalltalk, entlockt jedoch dem jungen Schriftsteller viele Details zur Entstehungsgeschichte des Romans sowie Einblicke in das Leben des Künstlers.
Dann. Liest. Benedict Wells. Er beschränkt sich in seiner Auswahl der Passagen auf die Liebesgeschichte zwischen Jules und Alva. Gute Wahl. Sehr gut sogar. Mit einem erstaunlich tiefem Bariton haucht der Autor himself dem Ich-Erzähler Jules unverzüglich Leben ein. Die Figur bekommt eine Seele. Einen Teil seiner Seele? Spontan frage ich mich, warum nicht er selbst, sondern statt seiner Robert Stadlober das Hörbuch eingelesen hat… Wirklich schön anzuhören. Interview. Es bereitet keinerlei Mühe, den Ausführungen des Autors um den Roman herum zu folgen. Ganz im Gegenteil, ich empfand es höchst spannend und hing akustisch an seinen Lippen. Zweite Passage – wieder gut gewählt. Die Protagonisten sind 11 Jahre älter. Die Stimmung der gelesenen Situation beim Aufeinandertreffen in einer Bar wird im Saal förmlich greifbar. Noch ein paar letzte Fragen. Wells’ Schlusszitat. Ende.
Nein, Stop. Der Moderator verspricht, Herr Wells nähme sich während der Signierstunde Zeit für alle Fragen der Anwesenden?!?! Oha. Ziemlich großes Versprechen, das zu meinem Fifty-fifty führte:
Eine tolle spannende Stunde Lesung und eine lange weitere Stunde des Wartens auf Godot, ähm Benedicts Aufmerksamkeit. Doch, wie heißt es so schön? Der Weg ist das Ziel und so entwickeln sich während der Wartezeit erstaunliche Gespräche voller Wärme, Empathie, Inspiration und Humor. Je später der Abend, desto öfter ertönt auch ein herzliches Lachen von Leuten, die gerade noch beieinander standen, dann in die Dunkelheit entschwinden. Schade nur, dass nicht alle Wartenden den Fragen der Leser und Wells Antworten lauschen konnten. So wurde sicher vieles mehrfach erfragt und möglicherweise hätte es die Zeit, wenn schon nicht verkürzt, so doch vielleicht versüßen können. Maybe next time – ein Mikrofon am Revers oder eine Podiumsdiskussion im Vorfeld der Signierstunde?
Endlich. Der ersehnte Augenblick ist da. Wir stehen uns gegenüber. Er sieht bereits müde und erschöpft aus, lasst sich jedoch nichts anmerken, nimmt noch einen Schluck Cola. Er fragt nach meinem ungewöhnlichen Rezensionsexemplar und erinnert sich tatsächlich an unsere Korrespondenz, meinen Blog? Wie auch immer, er lässt sich Zeit für eine persönliche Widmung. Wir reden kurz über die Bedeutung der ersten hundert Rezensionen.
Es ist 23:15 Uhr und hinter mir warten noch immer mindestes 20-30 Leute auf ihr Date mit dem Autor. Eigentlich wäre jetzt ein guter Zeitpunkt für ein Glas Bier oder Wein an der Bar, um vielleicht gemeinsam diesen Abend zu reflektieren. Doch es ist spät. Es ist Donnerstagnacht. Die Angestellten üben sich bereits seit einiger Zeit in höflicher Geduld. Ich verstaue mein – nun gewidmetes – Taschenbuch in meiner großen froschgrünen Tasche, verschwinde wie alle anderen Lese-Eulen in die Dunkelheit einer sternenklaren Berliner Spätsommernacht und frei nach Rabindranath Tagore:
” … aber immer kommt ein neuer Morgen und ein Vogel singt im Baum.”
Rabindranath Tagore
Dankeschön von <3 en.