Klassik trifft moderne – Großartiges Erlebnis & Beste Unterhaltung am 23.02.2017
Heute Abend ging es ins Berliner Ensemble zu Faust I (& II)
- Regie, Bühne und Lichtkonzept: Robert Wilson
- Musik und Lieder: Herbert Grönemeyer
“Robert Wilson und Herbert Grönemeyer haben mit der BE-Inszenierung LEONCE UND LENA von Georg Büchner gezeigt, wie modern, poetisch, verrückt, philosophisch, abgründig – und vergnüglich Büchner sein kann. Nach 12 Jahren tauchen sie nun ein in den magischen Goethe-Kontinent: Mit 18 jungen Schauspielern und 8 Live-Musikern begeben sie sich auf eine – nicht nur für Goethe-Kenner – aufregende Expedition. FAUST – Eine Reise durch bekanntes und unbekanntes Terrain… vom Himmel durch die Welt zur Hölle.”
Diese Rezension bezieht sich nur auf Faust I bis zur Pause… Faust II konnte aus Zeitgründen leider nicht mehr genossen werden.
Eine “aufregende Expedition” – das kann ich zu einhundert Prozent bestätigen und das hatte ich mir von diesem Abendprogramm erhofft. Meine Erwartungen wurden übererfüllt – Dankeschön dafür!
Es ist mild draußen, die Straßen regennass. Ein Donnerstag in Berlin. Bahnhof Friedrichstrasse. Vorbei an der vollbesetzten StäV (Ständige Vertretung für Heimweh-geplagte Bonner im schönen Berlin 😉 und schon stehe ich vor dem Berliner Ensemble. Ups, kurz vor 19 Uhr. Jetzt aber schnell ins erste Obergeschoss, Loge II, linke Seite. Oh, wie hübsch – eine kleine Loge mit Türchen für drei Personen. So war der Plan für Papa, Mama, Tochter. Teenager sitzt in der Mitte. Wir lassen die Szenerie auf uns wirken, während sich das Theater behende füllt. War ich schon einmal hier? Vielleicht. Doch es ist immer wieder schön, den Samt der Brüstung zu fühlen, die reich verzierte Decke mit dem überdimensionalen Kronleuchter zu betrachten… Währenddessen toben die vielen jungen Darsteller tanzend und singend über die Bühne.
Von meinem Platz kann ich nicht nur auf die Bühne, sondern zum Teil auch dahinter sehen, in den Orchestergraben hinunterschauen und den Saal bis zum Tontechniker überblicken.
Es geht los, der Vorhang hebt sich und der Beginn ist etwas schräg, etwas zäh, aber – zu meiner großen Freude – hält sich die Inszenierung an den O-Text des großen Dichters. Da werden Passagen gekürzt, gesungen, zitiert, gespielt und vor allem wiederholt von gleich vier Doktor Fausts und drei Gretchens. Mephisto wird einfach fabelhaft gespielt – mit vollem Einsatz, schweißgebadeter Brust und immer einem kleinem Augenzwinkern. Das Publikum ist ein sehr aufmerksamer Zuhörer. Kein Husten, kein Telefon, kein Blitzlicht stört. Die Zeit fliegt nur so dahin. Der Osterspaziergang wird gekonnt vertont gesungen und getanzt. Die Brunnenszene – zum Ende des ersten Teils hin – zerreißt mir das Herz. Diesen wunderbaren Worten auf so unterhaltsame, frische Art zu lauschen, ist eine ganz neue Erfahrung. Ich habe schon andere Klassiker in modernen Inszenierungen gesehen – zuletzt Balzac auf der Volksbühne. Doch diese hier nimmt mich gefangen.
Die Kostüme sind zurückhaltend, wenig Farbe, dafür viel Licht und dramatische Mimik, übertriebene Gestik, wechselnde Bühnenbilder, deren Wechsel in das Schauspiel eingewoben und damit Teil des Stückes werden.
Die Musiker geben ihr Bestes im engen Orchestergraben, drei Geigen, ein Cello, Schlagzeug, Klavier, Keyboard, Gitarre. Der Pianist spielt mit abgedeckten Tasten. Bühnennebel kriecht in den Graben hinab. Der Drummer hat sein Notebook offen – Klassik trifft Moderne.
Grönemeyers Melodien passen sich dem Text an, nicht umgekehrt. Sie untermalen, sie dramatisieren, polarisieren. Pause.
Ich gehe mit einem guten Gefühl und Freude im Herzen an der Seite von Mann und Tochter zurück in die Berliner Nacht. Der Sturm, der draußen aufkommt, trifft auf wohlige Wärme eines gelungenen Abendprogramms.
Und für alle, die Faust nicht soooooo gut kennen, eine kleine Zusammenfassung: