Es gibt da eine Dame im roten Mantel, der sei meine heutige Kolumne um 8 gewidmet.
Warum?
Ich sehe eben diese Frau seit Monaten in meiner S-Bahn, je nachdem, welche meiner, im 20-Minuten-Takt verkehrenden, S-Bahnen ich erwische. Also sehe ich sie in in absoluter Abhängigkeit von meiner morgendlichen Tagesform.
Aber zurück zur Lady in Red mit dem blonden Long-Bob. Sie sitzt immer im Wagen 1 direkt hinter dem Zugführer, wo auch ich mich gern platziere, sofern denn dort noch ein Plätzchen frei ist. Und sie trägt rot – einen roten Sommermantel, einen roten Wintermantel, eine rote Jacke.
Ich weiß, dass sie zwei Stationen vor meiner Station einsteigt, da ich im Sommer zufällig auch einmal dort zugestiegen bin und sie auf dem Bahnsteig sah.
Ich weiß, dass sie immer an derselben Station aussteigt, an der auch ich raus muss. Dort trennen sich dann unsere Wege. Sie entschwindet ans linke Spree-Ufer, während ich der rechten Spree-Seite zustrebe. Und manchmal begegnete ich ihr auch schon auf dem Rückweg.
Wer mag die Lady in Red sein, die niemals lächelt und immer ein bisschen traurig aussieht, die nie ein Buch auf den Knien hat oder wie alle anderen aufs Handy starrt? Sie sitzt auf ihrem Platz und schaut aus dem Fenster. Hin und wieder streift mich ihr scheuer, schneller Blick von der Seite.
Ob es wohl anderen Öffi-Benutzenden auch so geht?
- Sehen auch andere genauer hin und dabei öfter denselben Menschen vor sich?
- Fragen sich auch andere, wer mag mein Gegenüber sein?
Alle meine Gedanken sprechen zwar diese eine Dame an, gelten aber genderkonform für alle.
- Woher kommt sie?
- Wohin fährt sie?
- Wie alt mag sie sein?
- Woran denkt sie oder träumt sie vor sich hin?
- Warum lächelt sie nie?
- Hat sie mich auch schon einmal gesehen?
- Wenn ja, wer bin ich für sie?
Sie ist, ebenso wie ich, eine von fast 4 Millionen … aber eben für mich ist und bleibt sie die Frau in Rot und damit eine kleine Konstante in der Hektik der Großstadt. Ich hoffe einfach, es geht ihr gut und sie lebt ein glückliches Leben.
Just, als mir heute die Idee für diese Kolumne durch den Kopf ging, traf ich sie wieder und, was soll ich sagen?
Die Lady in Red trug Black.