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Kuckucksei?

Bar jeder Vernunft
„Das Ei ist hart“ – Loriots „Dramatische Werke“
gelesen und gespielt von Stermann & Grissemann
06.10.2016 / 20 Uhr
“Mein Mann ist etwas voll um die Hüften.” Wem bei Betreten eines Herrenbekleidungsgeschäfts unweigerlich dieser Satz ins Gehirn schießt, der ist wohl auf angenehmste Weise Loriot-infiziert.
Diese sympathische Krankheit führt beim Anblick eines devoten Oberkellners zu einem sofortigen: “Sie werden mir jetzt wohl nicht ins Essen quatschen” und am Heiligen Abend gebetsmühlenartig selbstverständlich zu: “Früher war mehr Lametta”.
Man kann nicht anders. Man kann nicht widerstehen, Loriot unaufhörlich zu zitieren. Man kann sich aber die liebevolle Durchleuchtung des deutschen Strickwesten-Spießers auch vortragen lassen. 
Stermann und Grissemann legen mit “Das Ei ist hart!” nach. Das zweite Loriot-Programm der österreichischen Kabarettisten soll noch amüsanter als das erste sein, sagen die beiden selbst.
Also, essen Sie Ihren Kosakenzipfel zu Ende, binden Sie sich Ihren Schlipth… Äh, Verzeihung Schlips und schauen Sie sich das an. 
Es wird nicht zu Ihrem Nachteil sein! Ach was.
Am Klavier, am Klavier: Philippine Duchateau

MEINE REZENSION

Es ist 19 Uhr, mein Mann und ich betreten den plüschigen Vorraum der „Bar jeder Vernunft“ in der Scharperstr.24 in Berlin. Die Garderobe ist von Mänteln und Jacken bereits gut besucht. Es gibt – wie bei einer Lesung – einen Büchertisch mit Loriots Werken, u.a. auch dem neuen umfangreichen Sammelband, der just erschienen ist, den ich vor 2 Wochen während meines Buchladen-Schnupper-Praktikumstag auspacken durfte und der damit zum Grund für den heutigen Kulturabend wurde. Das offenbar berühmte Kabarettisten-Duo aus Wien spielt Sketche des wunderbaren Vicco von Bülow. Ich mag Loriot. Ich freu mich drauf und nach allem, was ich im Netz zu den beiden Herren Darstellern fand, wird das ein toller Abend, muss einfach so sein.loriot

Die Dame am Einlass scannt unsere Tickets à 25€ – kein Schnäppchen für eine Lesung, aber für Kabarett durchaus ein angemessener Preis. Oder? Mein Mann erhascht einen Blick auf ihr Display – wir sind Gäste Nummer 169/170 und betreten den bereits knüppeldicke vollen Saal der Bar mit seiner Manege und den Logen. OMG.

„Es besteht freie Platzwahl. Frühes Erscheinen bietet die Möglichkeit auf mehr Platzauswahl. Einlass ab 18:30h.“ Eine Stunde (!) vor Vorstellungsbeginn platzt der Saal schon aus allen Nähten. Beherzt und kurzentschlossen lassen wir uns auf die beiden ersten freien Stühle (im Gang!) fallen und peilen die Lage ringsherum. Reservierungen sind nur bei Buchung der Veranstaltung inkl. Menü möglich. Das wiederum ist uns nicht möglich an einem Donnerstag mitten in der Woche mit familiären Verpflichtungen zuhauf im Vorfeld des Abends. Nun, sei‘s drum. Wir bleiben hier mal schön sitzen. Das Personal ist schnell, freundlich, kompetent und aufgeweckt. Es macht Spaß und verkürzt die Zeit, ihnen beim Wuseln durch diesen menschlichen Bienenstock zuzuschauen. Zugegeben, andere beim – durchaus lecker anmutendem – Essen zu beobachten, während wir uns an unserem Alster resp. Radler festhalten, ist jetzt nicht sooooo spannend und macht auch eher hungrig. Aber ich werde mir ganz sicher nicht einen Teller auf den Schoß stellen, so wie unsere „ebenfalls-ohne-Tisch-im-Gang-Sitz-Nachbarn“ rechter Hand.

Von allen Seiten ist Wiener Dialekt zu vernehmen. Ah, man kennt sich also. Ungewohnt in der Hauptstadt. Ich lasse meinen Blick durch das Publikum schweifen. Angenehme Leute. Gut gekleidet. Offenes Lachen. Die Mehrzahl schätzungsweise zwischen 30-50.

Licht aus, Spot an. Der Herr der Bar eröffnet mit seiner warmen Stimme den Abend, bittet darum Handys auszuschalten und Kerzen kräftig auszupusten. Die Herren Stermann & Grissemann betreten die Bühne. Beide im Hemd und Jackett – kein rosa Pulli, keine blonde Perücke. A-ha. Stattdessen zwei Tische mit je einem Wein- und einem Wasserglas. Aber was bitte haben die beiden da in ihren Händen? Links ein Mikro und rechts ein Script? Im Ernst? Ist das tatsächlich der Text des Abends? Mühsam versuchen die gestandenen Jungs mit ein paar satirischen Seitenhieben locker in die Show locker zu starten. Wie ich finde – nicht wirklich geglückt. Grissemann entschuldigt sich für seinen Gesundheitszustand, er sei angeschlagen und solle immer alles schön rauslassen. In der Folge hustet er mehrmals an diesem Abend absolut unappetitlich in grüne Servietten und wirft diese achtlos hinter sich Richtung Bühnenausgang. Gepaart mit einigen Rülpsern und vielen eigenen (!) Lachern schleppt sich das Programm dahin, unterbrochen von endlos langen, wenn auch musikalisch durchaus anspruchsvollen, Piano-Einlagen der jungen Dame im Hintergrund – Philippine Duchateau. Einlagen wären ja ganz unterhaltsam, doch das hier ist eindeutig zu viel und zu laut und definitiv zu lang für Einlagen. Hätte ich ein Jazz-Piano-Konzert besuchen wollen, säße ich mit Sicherheit nicht auf diesem unbequemen Klappstuhl im Gang.

Die Sketche ziehen sich wie Kaugummi, ohne wirkliche Mimik oder Gestik – wie denn auch mit Manuskript vor dem Gesicht und Mikro im selbigen. Ohne freie Hände und freien Blick kann nicht wirklich Komik aufkommen. Lebt doch Loriot nicht nur vom Wort, sondern eben auch von der Situation.Dreißig Minuten Pause – unsere Gangplätze sichern mir einen Rekordstart Richtung Damen-WC und damit einen der ersten Plätze. Yeah. Derweil traben die Kellner mit Desserttellern durch die Gänge und servieren hastig Getränke. Licht aus. Es geht weiter.
„Ein Klavier, ein Klavier“ ruft Mademoiselle Duchateau unmotiviert und mit fadem Stimmchen von ihrem Platz am Piano während der berühmten Szene um Mutter Berthas Geschenk aus Massachusetts. Der Punkt, an dem man(n) fast einschläft, ist erreicht. Ich bin kurz davor, die Veranstaltung vorzeitig zu verlassen. Aus Höflichkeit bleibe ich.

Mein Fazit? Berlin bietet für Einheimische und Gäste unendlich viel Unterhaltung. Unsere Anspruchslatte liegt dementsprechend hoch. Unter der Woche ein mühsam frei geschaufelter, kultureller Abend zu zweit legt die Messlatte noch höher. Immerhin konnten wir ihn mit vielen angenehmen Menschen verbringen, inkl. Personal an einem zwar kuscheligen, zugleich überfüllten Ort mit einem, für meine Begriffe, merkwürdigem Konzept von Veranstaltung mit/ohne Essen. Wer bleibt dabei auf der Strecke? Die ohne Essen.

Zu Stermann & Grissemann kann ich nur sagen, ich bin enttäuscht. Aber so was von. Natürlich gab es zahlreiche Lacher und Applaus, sogar eine Zugabe. Vielleicht war tatsächlich alles, wirklich alles an diesem Abend so gewollt (inkl. Licht-Fehler des Technikers, unappetitliches Serviettenwerfen, bad guy & good boy etc.). Doch wenn all das ihre Art der Interpretation von Loriots Werken ist, dann halte ich mich lieber an das Original. Zur Krönung des Abends sagte Grissemann, sie seien gestern deutlich besser gewesen als auch die Tochter von Bülows anwesend war. Na vielen Dank auch.

 

Published inKolumneRezensionen
et Claire