Rachel Joyce
Das Jahr, das zwei Sekunden brauchte
- Gebundenes Buch: 432 Seiten / Fischerverlag
- Hörbuch: 7h, 26min auf 6 CD’s / argon-Verlag
- aus dem Englischen von Maria Andreas-Hoole
- erschienen am 21. November 2013
Niemand hat das Mädchen mit dem roten Fahrrad gesehen. Nur der elfjährige Byron, der mit seiner Mutter im Wagen sitzt, als der Unfall im dichten Nebel geschieht. Byron weiß sofort: Er darf keinem etwas davon erzählen. Doch in nur zwei Sekunden ist die ganze Welt aus den Fugen geraten – und es wird mehr als ein halbes Leben dauern, bis sie wieder in den Takt kommt. Mit ihrer zarten, glasklaren Sprache zieht uns Rachel Joyce ins Herz der Zeit und erzählt von einem ewigen Sommer, vierzig kurzen Jahren und zwei lebenslangen Sekunden.
MEINE REZENSION
Dieser Roman wird getragen von einer großen Traurigkeit & Schwermut. Er ist von Anfang bis zum Ende Moll. Das sollte man vielleicht vorher wissen und sich darauf auch einlassen wollen.
Diesen Text selbst zu lesen und zu verarbeiten, so wie er mir jetzt im Hörbuch präsentiert wurde, vermag ich mir kaum vorzustellen. Ganz sicher bin ich mir, dass der Roman erst für mich zu dem werden konnte, was er wurde, durch die wunderbare Interpretation und Stimme des Schauspielers und Hörbuchsprechers Wanja Mues. Er machte diesen Roman von Rachel Joyce erhör- und fühlbar; den stotternden, von Zwangsstörungen gequälten Jim, die toughe und doch verwundbare Eileen, den junge Byron und seinen besten Freund James Lowe, die zarte, zerbrechliche Diana aus Cranham House, die schräge Beverley aus der Digby Road und den unnahbaren Seymour, ja sogar die verschiedenen Mütter – wie Andrea Lowe, Deirdre Watkins – alle mit nur einer Stimme! Ich kenne Wanja Mues bereits aus der Hörbuchproduktion „Weil ich Layken liebe“ von Colleen Hoover. Ein Buch, das mich zutiefst berühren konnte, zum Lachen und Weinen brachte, was nicht unerheblich dem Interpreten geschuldet ist. Dieser Mann kann allein durch die Klangfarben seiner Stimme jedem Charakter die Einzigartigkeit verleihen, die ihm gebührt.
Auch bei dem nun gehörten Roman hat es Wanja Mues geschafft, mich an das Hörbuch zu fesseln – eindeutiges Suchtpotential vorhanden! Ich wollte, musste erfahren, wie es weiter geht, wann immer es möglich war, ob beim Joggen, im Auto oder nebenbei im Büro.
Doch ich brauchte tatsächlich fast bis zum letzten Roman-Atemzug, um zu verstehen und zu erkennen, wer sich hinter dem Protagonisten Jim verbirgt, wie sich die beiden zeitlich versetzten, jedoch parallel beschriebenen, Handlungsstränge miteinander verweben.
Dass es einen Zusammenhang gibt, ja geben muss, ist von Beginn an offensichtlich und an keiner Stelle zweifelhaft, jedoch erschließt er sich aus meiner Sicht viel, viel, viel, viel zu spät – am Ende wirkt der Roman fast gehetzt. Gut, mit einer früheren „Aufklärung“ würde man der Story sicherlich die Spannung nehmen. Und diese Spannung ist von einer sehr bedrückenden Natur.
Wer schwere literarische Kost mag, wem es jetzt in der bevorstehenden dunkleren Jahreszeit lieb ist, dass ihm unheimlich detailgetreue Bilder vor seinem geistigen Auge mit Worten gemalt werden, wer starke Charaktere und Personen, relativ wenig Handlung, sehr wenige Schauplätze und nur die Perspektiven eines jungen und eines älteren Mannes schätzt, dem sei das Buch ans Herz gelegt. Ganz ehrlich. Es ist zurecht ein Bestseller, der lange in mir nachwirkt.
Hörbuchliebhaber kommen hier ganz sicher auf ihre Kosten. Liebhaber der etwas schwereren Prosa greifen zum geschriebenen Werk. Eine große Portion Geduld und Ausdauer müssen Leser & Hörer jedoch schon mitbringen.
4 von 5 Sternen für dieses Werk für seine zarte, bildhafte, melancholische Sprache und die Wahl des Sprechers. Einen Stern für die in meinen Augen etwas zu zähe Handlung.