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Facetten der Einsamkeit

Vom Ende der Einsamkeitvom Ende der Einsamkeit
Benedict Wells
  • Roman, Hardcover Leinen
  • 368 Seiten
  • Erschienen im März 2016
  • ISBN 978-3-257-06958-7
  • ca. € (D) 22.00
  • Verlag: Diogenes

Eine schwierige Kindheit ist wie ein unsichtbarer Feind: Man weiß nie, wann er zuschlagen wird.« Jules und seine beiden Geschwister wachsen behütet auf, bis ihre Eltern bei einem Unfall ums Leben kommen. Als Erwachsene glauben sie, diesen Schicksalsschlag überwunden zu haben. Doch dann holt sie die Vergangenheit wieder ein. Ein berührender Roman über das Überwinden von Verlust und Einsamkeit und über die Frage, was in einem Menschen unveränderlich ist. Und vor allem: eine große Liebesgeschichte.

Jules und seine Geschwister Marty und Liz sind grundverschieden, doch ein tragisches Ereignis prägt alle drei: Behütet aufgewachsen, haben sie als Kinder ihre Eltern durch einen Unfall verloren. Obwohl sie auf dasselbe Internat kommen, geht jeder seinen eigenen Weg, sie werden sich fremd und verlieren einander aus den Augen. Vor allem der einst so selbstbewusste Jules zieht sich immer mehr in seine Traumwelten zurück. Nur mit der geheimnisvollen Alva schließt er Freundschaft, doch erst Jahre später wird er begreifen, was sie ihm bedeutet – und was sie ihm immer verschwiegen hat. Als Erwachsener begegnet er Alva wieder. Es sieht so aus, als könnten sie die verlorene Zeit zurückgewinnen, doch dann holt sie die Vergangenheit wieder ein.

MEINE REZENSION

Der neue Roman von Benedict Wells hat es geschafft. Tatsächlich. Er hat mich überrascht, emotional gefesselt, mich gefangen genommen, von meinen Gedanken Besitz ergriffen.

Die ersten Kapitel, noch zaghaft in den Andeutungen, erzählen vom traurigen Start der drei blutjungen Geschwister in ihr neues Leben als Waisen. Mit jeder weiteren Seite erfahren wir mehr über die Familie und jedes der Kinder gewinnt an Farbe, Liz, Marty und Jules Moreau. Während die Eltern zunehmend verblassen, versinken die drei in ihrer Einsamkeit. Daneben oder auch mittendrin finden sich Alva und Toni, später auch Romanow und Elena. Die geringe Zahl an Protagonisten bleibt jederzeit überschaubar. Dadurch gewinnen sie zügig an Nähe. Der beständig miteinander verwobene Lebensweg der Geschwister und deren Partner, ihre Entwicklungen erlauben tiefe Einblicke in die menschliche Seele. Gefühle, die unterschiedlicher nicht sein könnten, hervorgerufen durch den jeweils ganz eigenen Umgang mit der ganz persönlichen Einsamkeit, immer begleitet von einer Portion Melancholie, werden durch Wells gekonnt beschrieben. Schnell wurde mir bewußt, dass dieses zarte Büchlein ganz und gar kein Häppchen für zwischendurch ist. Im Gegenteil. Ich musste, ich wollte es GENIEßEN.

Wie dankbar also war ich, dass ich das letzte Viertel des Romans für mich allein, im Schutz der Dunkelheit, erfahren, erlesen durfte. An Dramatik kaum noch zu überbieten, quollen die Emotionen über – nicht nur in der Handlung, nein, auch in mir. Um es mit Hilfe eines anderen Romantitels auszudrücken; Das Schicksal ist hier nicht nur ein mieser Verräter, sondern ein echtes Ekel. Dennoch gibt der Autor dem Schicksal selbst nur den nötigsten Raum und weidet sich nicht darin. Er versucht sich am großen Blick auf das Leben…

Wer sind wir? Wer bin ich und warum bin ich der geworden, der ich bin? Hätte ich ein anderer sein können? Welchen Einfluss hat das Schicksal tatsächlich? Fast schon philosophisch mutet daher das Fazit an. Wir sind die, die wir sind und vor allem durch das, was uns im Innersten ausmacht. Das Schicksal mag die Weichen stellen, doch wir selbst entscheiden, welches der Gleise wir verfolgen, was wir daraus machen.

Dankbarkeit spüren ohne religiöses Pathos,
Annehmen der Gegenwart ohne Vorwürfe an die Vergangenheit,
Optimismus leben ohne viel Aufhebens darum –
das alles vereint dieser Roman für mich in einer zarten, eingängigen Sprache, größtenteils chronologisch aufgebaut und einem zurückhaltendem, fast schon retro anmutenden, Cover.

Dafür von mir volle Punktzahl und für mich eine absolut taugliche Filmvorlage.

 

Published inKolumneRezensionen
et Claire