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Rotes Heft

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“Liebe mit zwei Unbekannten”
  • Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
  • Verlag: Atlantik (14. Februar 2015)

Laure und Laurent sind sich nie begegnet. Beide leben in Paris. Eines Morgens findet Laurent eine elegante Damenhandtasche – augenscheinlich gestohlen und achtlos weggeworfen. Die Tasche verrät ihm zwar nicht den Namen der Besitzerin, doch ihr Inhalt gibt einiges über sie preis: Fotos, ein altmodischer Spiegel, ein Roman mit Widmung des Autors und ein rotes Notizbuch, in dem die Unbekannte ihre geheimsten Gedanken und Träume festgehalten hat. Laurent ist fasziniert von dieser Frau, immer mehr verliebt er sich in ihre Gedanken. Also beschließt er, sich auf die Suche nach ihr zu machen. Aber wie soll er sie finden?

MEINE REZENSION

Eine Frau, ein Mann, Paris, ein lila schwarzes Loch – oh pardon – eine lila Damenhandtasche. Ein Buchladen namens „Le Cahier Rouge“ – „Das rote Heft“. Ein Quartier. Eine Suche.

Mehr braucht es tatsächlich nicht, um meine kleine Leserseele in ihren Bann zu ziehen. Ich kann die Protagonisten nicht bildhaft greifen, wenngleich ich alle Schauplätze des Arrondissements lebhaft vor mir sehen – den kleinen Laden von Laurent Letellier, dem Buchhändler und die hübsche Wohnung von Laure Valadier, der Goldschmiedin. Und vor allem sehe ich die lila Handtasche. Wie bitte ist es einem Mann, in diesem Fall dem Autor, möglich auch nur ansatzweise zu erahnen, was einer Frau die eigene Handtasche oder besser gesagt, deren Inhalt bedeutet. Wie geht das an? Dieses Gefühl der Ohnmacht, all der in ihr wohnenden Schätze womöglich für immer beraubt worden zu sein, all die kleinen Erinnerungen nicht mehr berühren zu können und jemandem sein Innerstes offen gelegt, den weiblichen Mikrokosmos der eigenen Handtasche schutzlos preisgegeben zu haben. Zweifelsohne eine Horrorvorstellung für jede ähnlich gestrickte Leserin, inklusive mich. Madame Valadier erlebt diesen Albtraum und wacht sogar eine ganze lange Weile nicht daraus auf. Währenddessen erlaubt uns der Autor jedoch einen Einblick in ihre Traumwelt.

Laurents Erinnerungen an die Handtasche seiner Mutter und deren strikte Anweisungen zum Umgang mit dieser haben mich zum Schmunzeln gebracht. Dieser Mann Mitte vierzig, der sich mit einer lila Handtasche am Arm zur Polizei aufmacht und die Blicke der Frauen wahrnimmt, die so ganz anders sind als damals, wenn er auf seine Frau wartend deren Tasche hielt, ist so wunderbar romantisch und aufmerksam – ein Träumer?

Zumindest jemand, der seinen Traum lebt. Vom Banker zum Buchhändler. Wow. Ein Märchen? Ein strukturierter Mann mit festen Abläufen. Und dann steht da plötzlich diese Tasche und bringt seinen Tag, seine Gedanken und sein Leben durcheinander. Laurent hat eine Ex namens Claire, die einen neuen hat – Bertrand – und eine ziemlich schräge, zugleich unheimlich liebenswerte Tochter Chloé. Ein Teenager, der Bücher liebt, wie er selbst. Gibt’s nicht? Doch. Gibt’s. Ich habe sogar zwei solch seltene Exemplare zu Hause, zauberhafte Bücherwürmerinnen 🙂

Wir dürfen Laurent auf seiner Suche begleiten, an seinen Zweifeln teilhaben und mitfiebern. Dabei lernen wir einen kauzigen Schriftsteller kennen, der zur Schlüsselfigur wird, einen Kater namens Belphégor und natürlich den kompletten Inhalt des Taschenuniversums – darunter ein rotes Moleskine-Heft.

Was sagt der Inhalt einer Handtasche über eine Frau aus? Über diese hier? Offenbar alles. Es ist wie ein Tagebuch, ein Schatz, ein Hort der Erinnerungen und zugleich im hier und jetzt verhaftet.

Ein kurzer Roman mit Tiefgang und Streicheleinheiten für die romantische Seele, mit spannenden Wendungen und interessanten Perspektiven, ein Sahnebonbon für zwischendurch – ausgenommen das Cover. Das konnte mich leider nicht für sich einnehmen.

„Ein Mann wühlt nicht in der Tasche einer Frau – diese Regel musste selbst in den entlegensten Gegenden gelten…“ S.15

„Ein Zitat… fiel ihm ein: „Jemanden beim Schlafen zuschauen ist wie einen Brief lesen, der nicht für einen bestimmt ist“.“ S.17

„Ein Leben lang nur lesen, das hätte ihn glücklich gemacht…“ S.74

5 Sterne von mir und ein Danke für wunderbare Lesemomente, für Paris und einen ganz besonderen Buchladen-Inhaber.

Published inKolumneRezensionen
et Claire