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Metamorphose

Renate-Hoffmann-B00B2SG8MS_xxlAnne FreyTag
“Renate HOFFMANN”
  • Print-Ausgabe: 300 Seiten
  • Copyright ©: Anne Freytag (1. Juli 2013)
  • Verlag: freytag Literatur

Frau Hoffmann hat sich entschieden. Sie wird sich von ihrem Balkon in den Tod stürzen. Gründe dafür gibt es genug. Aber leider kommt ihr immer wieder etwas dazwischen. Sei es ihre neue Vorgesetzte, Herberts Briefe oder die Erkenntnis, dass sie noch nie masturbiert hat.

Renate Hoffmann hatte nicht immer sterben wollen. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, in der sie nicht nur am Leben, sondern tatsächlich lebendig gewesen war. Sieben Jahre zuvor schien das Leben noch voller Möglichkeiten. Bis zu jenem verhangenen Tag im November …

MEINE REZENION

Ich liebe Freytage 🙂 Das gibt es doch gar nicht. Das kann doch wohl nicht wahr sein. Es gab bisher nicht viele Autoren, die mich wirklich, wirklich animieren konnten, mehrere Werke von ihnen zu lesen. Zwei von Ihnen sind Frau Diana Gabeldon mit ihrer Highlandsaga um Claire und Jamie sowie Colleen Hoover mit Layken und Will und anderen. Natürlich nicht zu vergesse Maggie Stiefvater mit ihrer Wölfe-Lovestory-Quadrologie. Aber eine deutsche Autorin mit ganz unterschiedlichen Roman ist neu dazugekommen, Anne Freytag.

Es begann mit “Mein bester letzter Sommer”, ging weiter mit “434 Tage” und “Irgendwo dazwischen” und endetet heute vorerst mit “Renate Hoffmann”. Immer öfter gelingt es mir, mich ganz offen und unvoreingenommen einem neuen Roman zuzuwenden. Ich erwarte nichts und doch alles. Bei Anne Freytag wußte ich aus ihren Romanen, deren Lektüre ja noch gar nicht lang zurückliegt, dass sie mich packen kann, mit ihrer Sprache, mit den Charakteren, mit der Story. Also wußte ich nicht mehr, als dass eine Frau Hoffmann des Lebens müde vom Balkon springen will. Och nö. Depressive Launen sind nicht gerade Delikatessen für einen fröhlichen Schlaf. Aber ich konnte nicht umhin, mich in diese Geschichte fallen zu lassen.

Wer ist diese Frau Hoffmann? Was macht die da eigentlich? Schaut die wirklich in fremde Fenster und dabei nackten Männern auf dem Laufband zu – OMG. Das ist ja echt skurril und schon konnte ich nicht mehr aufhören, erfahren zu wollen, wie und warum aus Renate die graue Maus “Frau Hoffmann” wurde. Und da sind einige Leichen im Keller – Tote und Untote offenbar. Zu erlesen, wie die Metamorphose vor sich geht, wie aus der unscheinbaren grauen Raupe ein – sagen wir – Zitronenfalter wird, denn die Story ist oftmals sauer und liegt schwer im Magen, vor allem Frau Hoffmann Träume. Brrrrr. Ich mag gar nicht daran denken. Verwesung, wohin das schlafende Auge blickt.

Unglaublich überraschend zieht Anne Freytag den Leser/die Leserin in den Bann dieser Frau. Dabei versäumt es die Autorin jedoch nicht, viele weitere Charaktere bildhaft mit Worten zu zeichnen – Herbert Hubert, Henning Hechter, Robert Hofer oder Barbara Hoffmann, Caitlin Connelli, Frau Ursula Kleinschmidt-Behrens und ganz wichtig: Silvia. Wohnungen, Büros, Häuser nehmen Gestalt an und fast konnte ich das trostlose Ambiente allerorts spüren, die senffarbene Wände sehen, die faden Mikrowellengerichte riechen. Das passiert mir nicht oft, so nah am Geschehen zu sein. Ich war fasziniert von dieser Frau Mitte Dreißig, die aber auch 25, 45 oder 55, 65 sein könnte. Das macht diesen Roman zu etwas besonderem, denn er zeigt auf, dass das Leben keine Einbahnstraße sein muss. Und noch etwas macht ihn anders als erwartet. Frau Hoffmann macht winzige und ganz reale Schritte in eine neue Existenz.

Cover? Es gibt verschiedene. Ich jedoch mag besonders das old-school-like mit dem Fernglas 🙂

  • Ein paar Fragen, die ich mir während der Lektüre stellte…
  • Die Kapitel grenzen nur selten Zeitsprünge oder Sichtweisen ab, aber sie verhelfen dem Roman zum häppchenweise Genuss in S- und U-Bahn.
  • Ein Paar kleine Tippfehler. Nun ja, wer welche findet (so wie ich), darf sie ja zumeist behalten 😉
  • Eine Szene erinnerte mich ganz stark an “Nachricht von Sam” – und die mag ich eben nur da. Punkt.
  • Und hey, mal ehrlich, die Sache mit einer bezahlbaren Traum-Terassen-Wohnung in München hatten wir schon in “Irgendwo dazwischen”. Vielleicht ist es ja ein auch ein süsser/s Traum(a) der Autorin 😉

Die sprachliche Raffinesse von Anne Freytag ist wieder mal wunderbar. Appetizer gibts von mir an dieser Stelle for free:

“Frau Hoffmanns sensomotorische Grenze hatte für gewöhnlich die Ausmaße Russlands.” S.22

“Irritiert zog sie ihre Hand hervor und schaute sie vorwurfsvoll an.” S.31

“…hatte einen Teil in Frau Hoffmann zum Leben erweckt, den es nicht im Geringsten störte in den Krieg zu ziehen. Im Gegenteil.” S.85

In der Summe eine wunderbare Geschichte, der ich 4,5 von 5 Sternen gebe. Und da das nicht geht, entscheide ich mich ganz spontan für 5 von 5.

Published inKolumneRezensionen
et Claire